THERAPEUTISCHES KLETTERN

Gegen die Angst anklettern

MARIA KAPELLER, 05. August 2011 08:01

 

Wie Psychotherapeuten Klettern gegen Phobien, Depressionen und chronische Überforderung einsetzen

Wer an einem dünnen Seil zehn Meter über dem Boden hängt, bekommt es naturgemäß mit der Angst zu tun. Mit genau diesen Emotionen arbeiten Psychotherapeuten, die Klettern als Therapie anbieten. Aber nicht nur die Angst vor der Höhe, auch jede andere Form von Angst oder Phobie kann auf diese Weise behandelt werden. „Obwohl Ängste und Phobien sehr verschieden erscheinen, verbindet sie eine Art Grunddisposition bei einer Person“, erklärt Alexis Zajetz, Psychotherapeut in Salzburg.

Diese Grunddisposition äußert sich auch beim Klettern, die erlebte Situation wird in der Therapie auf das wahre Leben umgemünzt. „Bei Phobien geht es darum, dass sich jener Persönlichkeitsanteil, der in Momenten der Angst zur Selbstberuhigung dient, nicht entwickeln kann. Durch die therapeutische Interaktion kann er nachreifen“, erläutert der Mitbegründer des Instituts für therapeutisches Klettern in Thalgau.

„Beim Klettern passiert viel“

Beim Klettern geht es neben Angst auch um Vertrauen, die Leistungsanforderungen an sich selbst, die Wichtigkeit des Sicherungspartners. Auch darum, Grenzen zu überwinden und zu akzeptieren. „Ich denke, Therapeuten setzen das Klettern deshalb in ihrer Arbeit ein, weil sie selbst merken, dass dabei sehr viel passiert“, sagt Zajetz. Geklettert wird zumeist in Kletterhallen, die Wände sind bis zu 17 Meter hoch. Das Klettern in Absprunghöhe nennt man Bouldern. Es ist besonders für Gruppen geeignet, unter anderem weil es das Gemeinschaftsgefühl fördert.

Klettertherapie muss zum Patienten passen

In welchen Fällen ist therapeutisches Klettern geeignet? „Prinzipiell für viele Eventualitäten“, so Zajetz, es müsse aber auch zum jeweiligen Patienten passen. Er selbst setzt das Medium Klettern bisher vor allem in der Behandlung von chronisch Überforderten, Depressiven oder Patienten mit Angsterkrankungen, und hier vor allem Höhenphobien, ein. Voraussetzungen bedarf es keiner. Das einzige Kriterium ist, dass der Patient etwas mit Bewegung und Sport anfangen kann. Bei depressiven Menschen steht der sportliche Aspekt der Antriebssteigerung im Vordergund. Oder die zu bearbeitenden Themen passen sehr gut zu dem, was sich physisch beim Klettern abspielt.

Herausforderungen sind gut dosierbar

Einer der Vorteile am Klettern sei, dass man die Herausforderung dabei sehr gut dosieren könne. „Es gibt kaum eine Sportart, die so leicht ist aber auch so schwierig sein kann wie das Klettern – je nachdem, was ich tue.“ Diese Tatsache mache das Klettern grundsätzlich für sehr viele Menschen tauglich. „Außerdem handelt es sich um eine Bewegungsform, die für den Menschen gut geeignet ist. Wir sind ja von unserem Bewegungsapparat her exakt dafür ausgerichtet, jedem ist die Bewegung klar.“

Gezielte Interaktion

Der Unterschied zwischen Sportklettern und Klettern als Therapieform liegt vor allem in zwei Dingen: Erstens steht in der Behandlung der Faktor Sicherheit an erster Stelle, sportliche Ziele sind zweitrangig. Es kann durchaus zielführend sein, dass sich der Patient einfach einmal in die Wand „setzt“ und nicht weiterklettert. Eine Überforderung, im Sport nichts seltenes, sollte auf keinen Fall eintreten. Zweitens steht beim therapeutischen Klettern die gezielte Interaktion zwischen dem Therapeuten und dem Klienten im Vordergrund. Dialoge werden bewusst gestaltet. „Das Spannende dabei ist: Im Unterschied zur sitzenden Therapieform habe ich das Handeln und Spüren viel stärker dabei“, sagt Zajetz.

Neuer Erlebnisraum

Bevor es in die Kletterwand geht, werden drei bis vier Therapieeinheiten absolviert, um den Patienten kennenzulernen und zu diagnostizieren. Schon die Einführung ins Klettern kann für therapeutische Zwecke verwendet werden: Wie geht jemand an etwas Neues heran? Wie schnell kommt jemandem die Idee, dass er versagen könnte? „Schon bevor der Fuß an die Wand gesetzt wird, passieren sehr viele Dinge, die man therapeutisch nutzen kann“, so Zajetz. In der Folge wird eruiert, warum genau das Klettern für den Patienten sinnvoll sein könnte. „Bei manchen ist es der simple Grund, dass sie nichts haben, das ihnen im Leben Freude bereitet.“

Letztendlich gehe es darum, einen neuen Erlebnisraum zu öffnen und Wachstum zu ermöglichen. „Es kann sein, dass man dabei von festgesetzten Zielen abkommt, sich dafür aber etwas anderes entwickelt.“ (Maria Kapeller, derStandard.at)

Therapieklettern in Wien:

www.psychologie-wallner.com

www.psychotherapie-kowald.at/wien

Therapieklettern in Salzburg:

www.therapieklettern.com

Quelle:

http://derStandard.at/1311802345837/Therapeutisches-Klettern-Gegen-die-Angst-anklettern